By Christine Hoffmann
Die Raum-Ereignisse der Performance: Brenngläser, in denen ein Moment Welt geschieht. Sie stellt eine wie auch immer absonderliche Wirklichkeit her, in der sich ein Spiel vollzieht. Das Spiel wird geformt und gebildet (sculptured) aus dem Sein.
Performance läßt sich kaum beschreiben, filmen oder fotografieren, ohne daß sie ihre bestimmende Eigenschaft, die Präsenz im Raum, verliert.
Die Gesten, Bewegungen, Bilder und Wörter, die in der Performance in Gebrauch genommen werden, sind Material, aber nicht die Essenz des Vorgangs. Sie lassen sich beschreiben, deuten und können Assoziationsketten bilden. Das 'Durchkauen' des Materials erzeugt einen Widerhall, einen Echoraum der die Erinnerung daran bewahrt, im Raum gewesen zu sein.
Schreibend über die Vorgänge im Raum der Performance zu berichten, mag ähnliche Verfälschungen und Verformungen mit sich bringen, wie sie beim Aufschreiben vom Träumen geschehen. Die Träume allerdings haben nur jeweils einen Zuschauer! Die exklusivste Performance der Welt, und das jede Nacht. Die Verschmelzung von Bühne und Zuschauerraum im Traum drängt alles Theatralische zugunsten des unwillkürlichen inneren Rituals zurück, das sich großzügig an allen Bild-, Text- und Geräuschmaterialien bedient, die es noch aus dem letzten Winkel des Hirns zieht.
Läßt sich die vielschichtige Verflechtung von vorgefaßten und unmittelbaren Strängen der Performance zu einer Erzählung verkürzen?
Eine Fabel kann es nicht werden, geht es doch darum, das sprachliche Verfestigung im 'Fabel-haften' zu umgehen.
"Das Wort Fabel übernimmt die Funktion, aus dem Labyrinth vieldeutiger Rätsel des gestischen Materials die Einheit der Figur buchstäblich hervorzuzaubern." (Hans-Thies Lehmann, Fabel-Haft)
Gegen diese gewaltsame Synthesen-Schmiedung bietet sich die "Transformation der Fabel vom Stellplatz der Widersprüche zur Zerreißprobe für die Beteiligten"(Müller an Gottsched) an.
Die Zerreißprobe findet im Raum statt. Der Raum ist groß, dunkel und ohne Ausstattung. Unbebaute Wildnis, ohne die Zäune und Trennungen der 4. Wand, jenseits der kultivierten Gartenparzellen des eingefriedeten Intellekts.
"A wolf crossed an arable field and discovered that it contained barley. As he couldn't eat it, he left it and and went on his way. Soon after he met a horse, whom he led to the field, telling him he had found some barley.
The wolf said:
'Rather than eat it myself, I decided to watch over it for you instead. For I very much enjoy the sound of your munching.'
The horse replied:
"Ha! My friend, if wolves could eat barley for their dinner, you would never have preferred the use of your ears to the filling of your stomach!"Aesop, Fables
Füttern wir also die Mühlen der Assoziation...
Wellheads
Die 'Brunnengestalt' des Künstlers ("The artist as a fountain" Bruce Nauman) (Abbildung)steht für die erfrischende und bereichernde Qualität seines Beitrags ein. Er, der mit allen Wassern gewaschen ist, besprüht uns heutzutage mit seinem unheiligen Wasser, wie es das emblematische Foto des jungen Bruce Nauman zeigt, der sich selbst ironisch zum Quellpunkt stilisiert. Der Quell, den er in seiner einsamen Performance ausspeit, bleibt hinsichtlich der Bedeutung in der Schwebe: in gewisser Weise spuckt er uns an, frech und verwegen, um uns an seiner Kraft partizipieren zu lassen. Das unhöfliche Verhalten läßt sich in einem schamanistischen Ritual als eine durchaus würdige Handlung denken. Auch der christliche Priester besprengt uns mit geweihten Wasser...Kinder spucken manchmal heimlich in eine für Gäste zubereitete Speise, wenn sie die Macht der Erwachsenen magisch in Frage stellen wollen. Reinigt die Kunst mit klarem Wasser? Ist es nicht eher wie im Alltag, wenn wir schmutziges Geschirr in einem Wasser, das dabei zusehends dreckiger wird, spülen?
"A wolf saw a lamb drinking at a stream and wanted to devise a suitable pretext for devouring it. So, although he was himslef upstream, he accused the lamb of muddying the water and preventing him from drinking. The lamb replied that he only drank with the tip of his tongue and that, besides, being downstream he coudn't muddy the water upstream. The wolf's stratagem having collapsed, he replied....
See: Aesop's Fables, The wolf and the Lamb
WORDS: . . . [ . . . Change to poetic tone. Low.]
Then down a little way
Through the trash
To where . . . towards where . . .
[Pause.]
MUSIC: Discreet suggestion for above.
WORDS: [Trying to sing this.]
Then down a little way
Through the trash
Towards where . . .
[Pause.]
MUSIC: Discreet suggestion for following.
WORDS: [Trying to sing this.]
All dark no begging
No giving no words
No sense no need . . .
[Pause.]
MUSIC: More confident suggestion for following.
WORDS: [Trying to sing this.]
Through the scum
Down a little way
To where one glimpse
Of that wellhead... (p. 293).
(to becontinued..last word: "Music..")
From: Samuel Beckett: Words and Music
Die Wanderung durch die Sedimente und Schmutzschichten zur Erreichung welchen Ziels?
Wo ankommen?
Bei der Musik der Stimme, der zu findenden, die anklingt. Der Quellpunkt im Körper . Dem Keim des Lauts der sich weiter verzweigt in Wörter.
Anet van de Elzen hält sich erst in dunklen Raum versteckt und tritt dann ins Licht. Verborgen ist ihr Gesicht unter einer dicken Schicht aus Lehm, die sie wie Grind abkrazt. Es staubt und krümelt. Sie klopft sich ab, dann fast ein Streicheln. Die Berührungen sind auf der Kippe.
Ein Lied entspringt, erst leise, dunkel, dann summt und murmelt es beständig. Sie sitzt da allein mit ihrem Schatten und singt sich lauter, bis das Lied zuende ist. Ende der ersten Nacht.
Intensitäten
"Wie bestimmte Insekten sich unter gegebenen Umständen allesamt einem Lichtstrahl zuwenden, so wenden wir uns alle von einer Region ab, in der der Tod herrscht. Die treibende Kraft der menschlichen Tätigkeit ist ganz allgemein das Verlangen, den Punkt zu erreichen, der am weitesten vom Bereich des Sterbens entfernt ist. (dem Bereich von Verwesung, Schmutz und Unreinheit): wir tilgen überall, in unermüdllicher Anstrengung, die Spuren, Zeichen und Symbole des Todes."
Georges Bataille, Michelet. In: Jules Michelet, a.a.O., S. 258
Die Performance, die auserhalb der theatralischen Repräsentation steht , setzt gegen die Macht der Sublimation das Medium des Körperlichen ein. Die Accesoirs die sie gebraucht, sind austauschbare, kombinierbare Sprachzeichen, Gegengewichte in einer Energie-Gleichung. Hervorzbringen ist das körperliche Wissen. Die physische Präsenz als Grundeigenschaft ist das skulpturale Material.
Die Ereignisse der Performance formen ihren eignen Raum.Sie verweisen nicht notwendig auf externe Referenten. Der Akteur selbst ist bereits aus sich herausgetreten und Element einer sich eben bildenden Wirklichkeit.
"Diesen Raum ‘virtueller Ereignisse', diesen nicht-existierenden Horizont reiner Ereignisse, dieses 'Worin' bezeichnet Deleuze mit spatium, als formlosen und offenen "Ungrund", in dem Intensitäten ‘eingefaltet' sind und sich zu Extensitäten, zu ‘Raum/Zeitgestalten‘, in extensio ‘ausfalten'.."
(Roland Faber in: Labyrinth, Vol.2, Winter 2000)
Das Ereignis formt einen Raum in der Welt. Der 'Ist-Zustand' ist zum Werden verflüssigt. Das bewegliche Zentrum der Aktion ist der Körper im Raum. An ihm entfaltet sich dieWechselwirkung zwischen Intensität und Extensität (Ausgedehntheit). Das 'Was ist es eigentlich' pendelt in der Schwebe wie die Doppeldeutigkeit vonWelle und Korpuskel. Das Sichtbare ist nurmehr wie der Abguß eines stärkeren leeren, negativen, spürbaren Raums.
"Die Menschheit verfolgt zwei Ziele: das negative, das Leben zu erhalten ( den Tod zu vermeiden), und das positive, seine Intensität zu steigern...Die Intensität kann als Wert definiert werden (d.h. als der einzige positive Wert), die Dauer als das Gute (d.h. als das allgemeine Ziel der Tüchtigkeit). Der Begriff der Intensität ist nicht auf den der Lust zurückzuführen, denn das Streben nach Intensität verlangt, daß wir zuerst dem Unbehagen entgegeghen, hart am Rande der Ohnmacht.."
Georges Bataille in: Michelet, a.a.O.
Die Bewegung in die Gegenrichtung entlang der Widerstände, Widersprüche erzeugt eine negative Lust oder Wut. Sie bedient sich der tief in uns verschweißten Blöcke und Aversionen.
Tier werden
Einmal im Jahr treffen sich die Zauberer und verwandeln sich in Wölfe, so heißt es in den alten Geschichten.
"Man kann sich in einen Wolf verwandeln, insofern man sich selbst und die gegenwärtige Zeit verläßt, indem man zum Zeitgenossen des mythischen Ereignisses wird....Die Wiedererlangung der ursprünglichen Zeit im Ritual ist ein archaisches religiöses Verhalten..." (Mircea Eliade, Von Zalmoxis zu Dschingis-Khan, Köln 1982, S.27)
Kann man den Zeitfluß zurück - gegen den Strom - schwimmen? Das Urereignis, der zeremonielle Rausch, die Verwandlung, wird aktualisiert, gewissermaßen wiederholt. Der Ursprungsmythos stellte eine Art der Weltgründung dar, den Beginn einer paradigmatischen Existenz, eine Gegenbildung zu der lauernden Bedrohung einer Existenz in Schwäche und Machtlosigkeit. Die Wolfs-Initiation dient der Jagd- und Kriegsmagie.
Der Kult um den Wolf ist einer der ältesten und historisch bis in die Gegenwart hinein verfolgbaren Tierkulte Europas.
In der Vorstellungswelt des primitiven Jägers herrscht eine mythische Solidarität zwischen Jäger und Wild.
"Das Raubtier ist der exemplarische Jäger. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist jener des Initiationsritus und des Mythos, der ihm als Rechtfertigung dient: Ein Urtier tötet die Menschen, um sie in Raubtiere zu verwandeln, d.h. als Initiierte wieder auferstehen zu lassen. Letztlich wurde das Tier getötet, und dieses Ereignis wird im Ritual der Initiationszeremonien wieder aktualisiert. Indem er aber das Fell des Raubtiers überstreift, wird der Initiand zu neuem Leben erweckt.." Mircea Eliade, a.a.O., S.24)
Jäger und Beute sind zwei Aspekte eines Vorgangs, die sich als prozessuale Skulptur denken lassen, wenn sie in Raumpunkte eingetragen sind. Immer läuft der Jäger selbst Gefahr, Beute zu werden. Bemerkenswert ist die alte Solidarität zwischen Jäger und Wild. Im christlichen Denken herrscht der gute Hirte, die Gläubigen sind die Lämmer. Geopfert wird das Lamm-Tier, um einen Bund mit dem Gott einzugehen. Der opfernde Mensch verzichtet auf den Genuß seiner Beute, und bietet sie dem Gott dar.
A wolf persued a young lamb, who took refuge in a temple. The wolf called out to it and said that the sacrificer would offer it up to the god if he found the lamb there. But the lamb replied:
'Ah well! I would prefer to be a victim of a god than to die by your hand.'
Aesop's Fables: The Wolf and the Young Lamb Taking Refuge in a Temple
Das christliche Lamm flüchtet nicht so sehr vor dem Tod, sondern vielmehr davor, Opfer des Bösen, der dämonischen Mächte zu werden. Aber gerade zu diesen dunklen Mächten fühlt sich die 'andere Seite' der gespaltenen Seele hingezogen. Seit seiner Etablierung kämpft das christliche System gegen das Aufflackern heidnischer Kulte, die den Ruch des Dämonischen haben, und die es nicht zu absorbieren vermochte. Der Wolf als Inkarnation des Bösen und Gierigen wird seit der Antike praktisch und geistlich verfolgt. Entsprechend groß ist seine Bedeutung im 'Untergrund' der christlichen Welt. So wird er zum Protagonisten geheimer Kulte, Mysterien und Rituale.
In der Vorstellungswelt des Mythos fühlt sich der Künstler jedoch nur bedingt zu Hause. Er richtet sich nicht im Bekannten ein. Der Mythos ist Material, das die Intensität der Verwandlung anheizt. Die Verwandlung selbst ist, sofern der Künstler keinem Kult anhängt, eine individuelle Partitur. In der Performance-Verwandlung bewegt er sich in den Bereich des noch nicht Beschriebenen.
Er muß ein Niemandsland um sich schaffen, in dem ein neues Bedeutungsgefüge aufscheinen kann.
Dabei verarbeitet er die losen Enden, Fäden und Fluchtlinien des Mythos, ohne immer darauf abzuzielen. Erst rückblickend läßt sich erkennen, welcher Art die Muster sind, die er gewebt hat.
Die Ahnung, daß dies geschieht, erfüllt den Raum der Performance.
Wenn in den späten Texten Kafkas zum Beispiel die Verwandlungen in profane und mythische Tiere zunehmend Raum gewinnen, so steht das nicht für einen Rückfall in die Simplifikation oder ins Allegorisch-fabelhafte, sondern für eine Radikalisierung und Intensivierung seiner künstlerischen Konsequenz.
"Tier werden heißt genau, die Bewegung vollführen, die Fluchtlinie in ihrer ganzen Positivität trassieren, eine Schwelle überschreiten, vordringen zu einem Kontinuum aus Intensitäten....Kafkas Tiere verweisen niemals auf auf Mythologien oder Archetypen; sie entsprechen überwundenen Stufen, befreiten Intensitätszonen.." (Deleuze/Guattari. Kafka. Für eine kleine Literatur. Frankfurt 1976, S.20)
Territorium
"A cabin's load of budget furniture - table, chairs and bunkbed -
remain in a domestic formation but outdoors, in the winter.
The inhabitant of this inside-out arrangement employs knives and
other sharp instruments to slowly whittle the furniture down. Edges
are filed, corners cut, legs sharpened.
...
Now upturned, the spiked limbs of the whittled furniture surround the inhabitant to imply his protection from beasts..."
Aaron Williamson besetzt die Eingangssituation zum Performance Festival. Als Wolf unter Wölfen entwickelt er die Figur des agressiv Schutzlosen und baut als Eingangsbild die Situation einer nackten Wohnungslosigkeit nach.
Dann erst beginnt das Territorium, das die Alpha-Wölfin Anet van de Elzen gesichert hat.
Im Februar in S'Hertogenbusch hat sie ein Rudel zusammengezogen, eine kleine Meute. Für die Dauer von drei Tagen nehmen vier KünstlerInnen gegenseitig Witterung auf, interagieren, agieren und laden den Raum auf mit ihren Aktionen. Für drei schwarze nasse Abende haben sie sich aus den verschiedenen Himmelsrichtungen Europas zusammengefunden in der Melkfabrik. Wölfe in der Milchfabrik - das hört sich gefährlich nach Wolfsmilch an:
"Diese Kräuter werden gebrauchet / die wässerige Feuchte aus dem Leib zu treiben: Daher auch Plinius schreibt/daß sie den Wassersüchtigen gut seyen. ... Aber er meldet davon / daß sie nicht ohne Schaden werden eingenommen / Dann sie ein Natur habe / das Hertz und die innerlichen Glieder zu verletzen: die Adern aufreissen und ein Fieber zu erregen."
Die 'Melkfabrik' in S'Hertogenbosch mit ihrer kahlen kalten Halle dient als Wegkreuzung und Versammlungsort. Die dosierte Ausschüttung der Wolfs-Milch erfolgt an drei Abenden. Wem soll die wässerige Feuchte aus dem Leib getrieben werden? Wem wird das Elixier verabreicht?
Abend um abend strömt eine größer werdende Herde zusammen, um bei den Wölfen zu sein.
Als Zuschauer erwarten sie im dunklen Raum ihr Erscheinen...
Kirsten Norrie läßt die Dosis einer unbekannten Medizin mit der Pipette aus einem kleinen Glas langsam auf den Boden tropfen. Dann fällt die Pipette zu Boden Dann schüttet sie den Inhalt des Fläschchens auf sich. Dann fällt das Glas zu Boden und bricht. Der Vorgang wirkt gefährlich. Ihr Zittern verschwistert sich mit der Physik des Tropfens. Wie der Tropfen sich löst und fällt, so gleitet das Glas aus der Hand und bricht. Was aber geschieht mit dem Zittern..
The whole thing is coming out of the dark... (Samuel Beckett)
"Das Licht enthielt die fügsamen Elemente einer neuen Vielfältigkeit, die körperliche, wie in Spielzeugteile zerbrochene Welt; das Halbdunkel, Zustände des Friedens. Aber das Dunkel enthielt weder Elemente noch Zustände, sondern nur Formen, aber werdende und zu Fragmenten eines eines neuen Werdens zerfallende Formen, ohne Liebe oder Haß oder irgendein erkennbares Wandlungsprinzip. Hier gab es nur Aufruhr und die reinen Formen des Aufruhrs. Hier war er nicht frei, sondern ein Stäubchen im Dunkel absoluter Freiheit." (Samuel Beckett, Murphy, Frankfurt 1976, S.86 )
Im dunklen Raum fallen die Zeichen der Zeit aus. Darin stehen Fremde einzeln und warten. Im dunklen Raum allein und ohne Berührung wird jeder noch mehr zum einzelnen. Der dunkle Raum in dem gewartet wird ist die Matrix der Imagination. Die Bilder sind noch ungeboren zwischen Erwartung und Erinnerung. Die Versammlung von Menschen im dunklen Raum hat sich nicht eingefunden, um in sich zu gehen, sondern lauert darauf, daß etwas geschieht. Dennoch drängt sich die Introversion ein. Das Publikum, die Öffentlichkeit, die anderen, wir: sind im Schatten, abgetaucht, einander nicht wahrnehmbar. Das verändert die Einstellung. Die Gestalten, die auf dem Hintergrund dieser Dunkelheit auftreten werden, dürfen zu wahrhaften Erscheinungen werden. Wir hingegen bleiben im Schutz der ältesten Tarnung, der Nacht.
Der unausgeleuchtete Raum versetzt zurück in die Zeiten als Städte noch weitgehend dunkel waren. Dunkel fast wie die Wälder, und von Geräuschen erfüllt, Wagenrädern, Menschenstimmen. Im nächtliche Wald ist es das Knacken und Rascheln von Ästen und Gebüsch, die in Bann halten, und die Stimmen von Tieren.
Der Anfang: das ist ein dunkler Raum. Mal ist er offen, mal geschlossen. Eine schwarze Zelle, als Innenraum gesehen, gebildet aus Mauern aus unzähligen anderen schwarzen Zellen. Allein im dunklen Raum eingesperrt - verloren im Wald der Nacht, an leblosem Ort. Strategischer Ausgangspunkt der Verzweiflung? Das Irreduzible? Wenn es dann beginnt sich zu 'ver-zwei-feln' teilt es sich auf und gewinnt Farben, Bilder und Worte.
Immer wieder anheben, immer wieder zurückfallen. Den dunklen Raum in Gang bringen und in Gang halten. Den Beginn des 'ich weiß nicht warum' - auch wenn dies nur eine Fangfrage ist. Eine Hypothese zum 'woher komme ich'.
Im dunklen Schatten des Rationalen lauern die Gefahren, der schwarze Mann, die Geister und der böse Wolf.
"A hungry wolf was prowling in search of food. Coming to a certain place, he heard a child crying and an old woman who was saying to it: 'Don't cry any more, or else I will give you to the wolf at once!' The wolf thought that the old woman meant it, so he stopped and waited for a long time. When evening fell he again heard the old woman cuddling the little one, saying to it: 'If the wolf comes here, my child, we will kill him.'
After hearing these words, the wolf went on his way, saying: 'In this farm they say one thing and do another"
(Aesop, Fables, 'The wolf and the old woman')
Im Dunklen ist das Böse zuhause, das sich vom beruhigenden Schein der Lämpchen weggeflüchtet hat und im Verborgenen in angespannter Ruhe neue Kräfte sammelt Wenn es ins Licht tritt, strahlt es in seinem eignen Glanz.
Grillen (Gryllen)
"Diese nichtigen Grillen vermehren die Verderbtheit, die Raserei des Nichts. Die inmitten ihrer Tiere gelangweilte, überreizte Circe möchte selbst ein Tier sein...sie fühlt sich als Gefangene und hat die Wut einer an der Kette liegenden Wölfin." (Jules Michelet, Die Hexe, München 1974, S.116)
Sie läßt nach einer Hexe schicken und fordert einen Zaubertrank von ihr, der sie in eine Wölfin verwandelt.
"Diese entsetzliche Phantasie war bei jenen großen Damen, bei jenen edlen Gefangenen der Burgen nicht selten; sie hatten Hunger und Durst nach Freiheit, nach grausamer Freiheit. Boguet erzählt, daß in den Gebirgen der Auvergne ein Jäger in einer gewissen Nacht nach einer Wölfin schoß, sie zwar verfehlte, aber ihr die Pfote abriß; hinkend entfloh jene. Der Jäger gab sich auf eine benachbarte Burg, um von dem Edelmann, der sie bewohnte, Gastfreundschaft zu erbitten. Als dieser ihn sah, fragte er ihn, ob er eine gute Jagd gehabt habe? Um auf diese Frage zu antworten, wollte er aus seiner Jagdtasche die Pfote ziehen, die er der Wölfin eben abgerissen hatte, aber wie groß war sein Erstaunen, als er anstelle der Pfote eine Hand fand und an einem der Finger einen Ring, den der Edelmann als den seiner Frau erkannte..." (Michelet, a.a.O. S.117)
Michelets Bericht von der adligen nächtlichen Ausreißerin nimmt die Fakten auf: Die Hexe, derer sich die Frau bedient, wird hingerichtet, und gleichfalls die auf eignen Wunsch verhexte Frau.
Als Grylle, wie von Bosch in seinen Bildern festgehalten, hat die Anwandlung zum Bösen ihre Heimat in der angespannten Seele. Diese kann unter der richtigen geistlichen Anleitung auch zum Guten ausschlagen, wie unzählige Legenden von den 'lieben Frauen' erzählen.
Die Grillen sind es, die einem durch die Erziehung ausgetrieben werden sollen. Oft ein lebenslanger Exorzismus. Das brave Lämmlein enteckt sich oft erst spät in seiner Emanzipation als Opfer. Läßt sich die Grenze zum Wahnsinn über den Tod hinausschieben, oder nimmt er uns zuvor noch in Besitz? Eine dunkle Kampfzone, ein Schlachtfeld der Seele.
Im Dunkeln zwar kaum zu erkennen aber doch hörbar pompös in einem aufgeplusterten Kostüm kommt Denys Blacker in den Raum, nicht durch eine Tür, sie läßt sich an einer Strickleiter aus einer versteckten Nische herunter. Sie zieht eine Runde um den Raum, immer an der Wand entlang, wobei es knackt und kracht, was ein Gefühl für die Ecken und Kanten hinterläßt. Bei der zweiten Runde verliert sie, was im schwachen Lichtschein kaum zu erkennen, aber zu hören ist, schwarze Wolken von Ruß. Wie eine Bienenkönigen der Nacht lässt sie ihre unheimlichen Pollen los. Dann läßt sie ein paar Flügel fallen, die zuvor laut knackten, so daß nur noch das Rascheln der Röcke bleibt.
Beim Abgang durch die Mitte streift ihr Kleid die herumstehenden Zuschauer, die ein wenig zurückschrecken, als berührte sie ein fremdes Wesen.
Den Wahn wie einen Blitz aufzunehmen, ihn in sich hinein- und dann wieder hinauszuleiten, erfordert eine kräftige mentale Muskulatur. Der Körper muß den Schock durch sich hindurchlassen, um nicht von ihm erschlagen zu werden.
Den Bosch
S'Hertogenbosch: Das ist die Stadt Boschs, der auch El Bosco (der Wald, das Gebüsch?) genannt wurde, in der 'dunklen Zeit' des ausklingenden Mittelalters. Bosch ist der Maler eines 'diabolischen Naturalismus', in dessen Bildern "seltsame Heilige und lächerliche Teufel, krauses Gespenstervolk zu einem Hexensabbath vereinigt wird". (Wihelm Fraenger, Formen des Komischen, Dresden 1995, S. 220) Die beunruhigende Existenz von Ungeheuern wie auch von Wundern war Teil der kollektiven Phantasie des späten Mittelalters.
Abbildung: Bild von Bosch: Williamson
Die Kollisionen des Tier-Werdens ereignen sich in den Bildern Boschs: Gryllen, Grotesken und Verunstaltungen füllen ein fantastisches Experimentallabor, einen Garten der Lust zu weit zu gehen. Eine barocke Borderline, Gestalten an denen sich Wahn und Sünde in permanenter Umformulierung befinden, Perversionen, die erst jüngst in der Wissenschaft wieder eingeholt werden, wenn einem Mäuserücken ein Menschenohr antransplantiert wird. In Boschs Dämonomanie haben sich die Arten längst gekreuzt: der Rückenpanzer einer Schildkröte ist ein abgeflachter Totenschädel. Fremde Glieder wachsen aus unheimlichen Leibern hervor. Das Füllhorn teuflischer Hybride aus Reptilien, Insekten, Menschen und Gegenständen ergießt sich vor dem erschreckten Auge.
In Boschs Bildern brennen die Höllenfeuer des 'dies irae' am Abend der Katastrophe. Seine Topographien der Hölle verweisen auf Dantes "Göttliche Komödie", dem berühmtesten Reisebericht vom Besuch in der Unterwelt.
..dinanzi a li occhi mi si fu offerto..( Dante Alighieri)
Dante's Bericht setzt in der ersten Szene des 'Inferno' in einem finsteren Wald ein, in dem ihm die Tiere Luchs und Löwe wie Schatten aus einer überwundenen mythischen Vorzeit streifen. Bevor er auf seinen legitimen Reiseführer Vergil trifft, begegnet ihm noch eine Wölfin:
"Auch eine Wölfin trat jetzt auf die Szene,
von allen Lüsten schwer und doch so dünn"
Voller Furcht läßt sich der keusche Dante langsam von ihr treiben:
"So ich, als sich die Ruhelose zeigt';
sie trieb mich langsam über jene Fläche
So weit hinunter, bis die Sonne schweigt.
Als ich so stürzte in der tiefen Zeche,
Erschien ein Anblick mir mit einem Mal,
Der mir durch langes Schweigen schien voll Schwäche.
Als ich ihn schaute in dem öden Tal,
Rief ich ihm zu:'Kannst du mich nicht erlösen,
wer du auch seist, ob Schatten, ob real!'"
(Dante, Göttliche Komödie, I,1)
Dem von seinem Jäger langsam vorangetriebenen Opfer erscheint die Erlösungsfigur als plötzliche Vision. Erkennen kann er sie erst von der Stelle aus, zu der ihn die gierige Wölfin hingetrieben hat.
Zwei Formen des Erscheinens treten in den Passagen im 1. Canto des 'Inferno' nebeneinander: die plötzliche, furchterregende Erscheinung des dämonischen Tiers. Und die zunächst irritierende Figur des zwischen Geist und Mensch oszillierenden Unbekannten. Wer oder was bist du, scheint hier die Frage zu sein
Der Anblick, der 'durch langes Schweigen schien voll Schwäche', geht der Macht des erlösenden Wortes voraus, als Vergil's Geist sich durch seine Rede zu erkennen gibt.
So alt und tief ist der Wunsch nach Erlösung durch das Wort! Der Hunger ist unstillbar, die metaphysische Sehnsucht, die bis an fanatische Gier grenzt. Wie grausam und kunstvoll zugleich hält die Kunst diesen Wunsch wach, und auch die Vergeblichkeit des Wunsches. Bis hin zu den kollabierenden Paradoxien, wie Kafka sie einsieht, wenn er sagt, daß die Nahrung den Hungrigen verzehrt.
Durch ihre Verweigerung der expliziten, leicht handhabbaren Zuordnung im "wer oder was ist oder steht für was" entzieht die Performance Sicherheit. Und es gelingt ihr, ins halbwegs gesicherte Terrain der Kunst die Furcht vor dem Unbekannten wieder einfließen zu lassen. Es gibt keine Theater- Grenze des Schutzes zwischen Figur und Publikum. Denn die Grenze ist fließend und durch jeden Auftritt anders bestimmt. Im besten Fall bildet der Performer selbst diese Grenze zwischen realem und imaginärem Raum. Dieser Zustand ist intuitiv und überträgt sich auf die, die mit ihm im Raum sind.
Sein erstes Erscheinen, der Beginn des Auftritts, ist entscheidend. Wie er in den Raum hineinkommt, so kommt der Raum aus ihm heraus.
Er ist plötzlich da, laut oder leise, mit einem Türknall, einem Knistern, einem Gesang. Der entscheidende Schritt, die Form der Bewegung, gibt Aufschluß über sein so schwer zu klassifizierendes, weil eben neu erscheinendes Wesen.
Für gewöhnlich gibt er keine Erklärungen über sich selbst ab. Das zu definierende Wort taucht in der Definition nicht auf.
..I can't go on, I'll go on.. (Samuel Beckett)
Als zentraler Hilfsgeist der Performance-Kunst im 20. Jahrhunderts ist Samuel Beckett anzusehen, mit seinen Stücken fürs Theater und Fernsehen wie mit seinen dafür grundlegenden Texten insgesamt.
"Das geringe Zaudern zwischen Kommen und Gehen, diese leichte Verzögerung der Leerung, soll meine Sache sein, das ist alles, was ich tun kann." heißt es in seinem Roman 'Der Namenlose'.
Dem 'Zaudern' im deutschen liegt in der englischen Fassung eine präzisere Bezeichnung zu grunde:das 'infinitesimal lag', ein unendlich kleiner Zeitabstand.
Wer Becketts Manuskripte einsieht, entdeckt unzählige Tabellen und Listen zu Bewegungsabläufen und deren Timing. Wie lang, kurz, langsam, schnell, laut oder leise ein Schritt zu sein hat - das war konstitutiver Bestandteil eines Stücks wie zum Beispiel "Tritte".
Abbildung Beckett 'Footfalls'
In seiner Fernsehfassung funktioniert es als bewegliche Skulptur, ein permanentes abgemessenes Hin- und Herschreiten schafft diesen skulpturalen Raum. Gegangen wird in diesem Stück - und gehört werden muß das Gehen - als pure Rückversicherung der Existenz.
Eine Weise des Gehens ist , wie die Silhoutte und die Form die sie verschiebt, im höchsten Maße sprechend.
Catling sagt beinahe alles damit wie er den Raum durchschreitet. Der ganze Wahnwitz seines Unternehmens ist darin enthalten, wie er einen Fuß vor den anderen setzt und sich damit im Raum hält. Das weckt eine Gier, eine Sensationslüsternheit, daß man innerlich ein "more" blöckt. Die Figur inkarniert eine Wegstrecke lang das Entsetzliche bereits ohne das dunkle Raunen und Gezeter, das sie im Verlauf des Auftritts noch ausstößt. Er verkörpert die eben noch gebremste Raserei. Er verinnerlicht da nichts Fremdes, den wir teilen das Element mit ihm. Er hält es in einem Maße zusammen, daß wir auch seiner Komik teilhaftig werden können.
Kirsten Norrie bricht mit einem Gehvorgang in den Raum hinein. Einen Fächer hastig aber genau vor sich her fächelnd, kreist sie in enger werdenden Bögen umher und zieht an einer langen Leine einen zusammengebrochenen Kronleuchter hiner sich her. Wie eine Motte, die blind ihre Wand sucht. Sie ist das dazwischen der beiden Bewegungsformen, der hechelnden Grazie vor sich, dem klappernden Geschleppe hinter sich, dem Flattern und dem Gestürzten.
Von Bosch's Geburthaus, das heute im schmalen Rotlichtbezirk von s'Hertogenbosch steht, an den Rand des Marktplatzes zurückgekehrt, bot sich uns auf der Öffnung des Platzes ein bewegtes Bild dar: zwischen eilig über die Fläche huschenden Menschen und Gruppen stach die Figur einer alten, gebeugten Frau heraus, die sich langsam mit ihrer Gehhilfe diagonal über den Platz schob. Die saugnapfartigen Schuhe lösten sich ganz langsam und regelmäßig vom Boden ab, wobei die beim Gehen erzeugte Fallbewegung nach vorne vom Haltegriff des Wagens aufgefangen und in ein Vorwärtsrollen der kleinen Räder umgesetzt wurde.
Das Gehen als Vorgang der Verwunderung auslöst: das geschieht ganz am Anfang, beim Gehen-lernen. Dann ganz spät, im Alter, beim noch eben Gehen können.
"Es ist notwendig voranzugehen, und somit die Geste
Vom Anbeginn des Lebens zu vollenden,
Die ihre Gestalt besorgt
Den Bäumen weitergab, als sei diese Gestalt
für die vielen schwankenden Situationen verantwortlich, die die Luft erfüllen."
(Aus: John Ashbury, Drei Gedichte (1972))
Abbildung : Bosch, Kind mit Gestell
Respekt vor dem Bösen
"Die Initiation der Jünglinge besteht in der Wiederholung eines mythischen Ereignisses: Der erste Inhaber des Rituals war der Wolf: Sein Bruder, der Nerz, der eines Tages die Jungen des Wolfes im Wald fand, tötete diese und nahm, als neuer Inhaber des Rituals, den Namen 'Wolf' an. Die Tür der Hütte, in der früher die Initiation stattfand, hatte die Form eines Wolfsrachens. In dieser Hütte vollendeten die jungen hamatsa, die Mitglieder der Kannibalengesellschaft, ihre Verwandlung in Wölfe. Beim Verschlingen der Kadaver wurden sie von einer Art besessener Wut ergriffen, bissen ihre Nachbarn und fraßen rohe Fleischstücke....Das Verhalten der jungen hamatsa ((ähnelt)) jenem der berserkr, der von der Wut, dem furor heroicus besessen ist." ( Eliade, a.a.O., S. 24-25)
Am letzten Abend kommt der aushäusige Wolf Aaron Williamson mit seinem zu Waffen gewandelten Mobiliar am Körper ( also die Gegenrichtung von 'Schwerter zu Pflugscharen') durch den Eingang zurück ins überdachte Territorium. Bedrohlich trägt er den angespitzten Stuhl wie bei einer Kneipenschlägerei vor sich her. Hiner sich zieht er die scharrende Hexen-Harke. Er reinkarniert eine Figur von Hieronymus Bosch, die nach jahrhundertelanger Herumtreiberei im Obdachlosen endlich in ein bewegtes Bild heimkehrt. Der Stumme Aaron stellt sich mit der schwankenden Petroleumlaterne auf und fällt in eine wutschäumende Ansprache. Er gackert, knurrt stöhnt, zerfetzt Wörter, sabbert, grinst und schreit. Es sind keine pfingstlichen Stimmen, die sich da Bahn brechen, es sind die Laute, die auf dem Weg zur Sprache kehrt machen in den reinen Ekzess.
Das Territorium der Kunst-Wölfe hat dieWut aus der Kindheit des Menschen eingefangen, Energie in ihrer reinen bösen Form, die, da wir an die Rückverwandlung des Bersekers glauben, auch unwillkürlich tiefes Gelächter auslöst.
"A wolf swallowed a bone and looked everywhere for relief from his predicament. He met a heron who, for a certain fee, agreed to retrieve the bone, and then claimed the promised fee.
'Listen, pal!' replied the wolf. 'Isn't it enough to have pulled your head safe and sound from a wolf's throat? What more do you want?" Aesop, Fables. The Wolf and the Heron
Christine Hoffmann/ horse-heron